Am Dienstag jährt sich zum 75. Mal der Einmarsch der amerikanischen Soldaten in die Stadt Kempen. Die Zeit des Nationalsozialismus war beendet. Es war ein Tag der Befreiung. Die Stadt Kempen erinnert am Vorabend an dieses historische Ereignis und hat dazu neben dem Historiker Hans Kaiser auch die Kempener Karl-Heinz Hermans und Erich Wüllems als Zeitzeugen eingeladen.
Erich Wüllems war 16 Jahre alt, als die Amerikaner in Kempen einmarschierten. Mit 14 Jahren hatte er eine Ausbildung bei der AOK Kempen begonnen. Um Lehrling werden zu können, musste der Junge wegen seiner niederländischen Staatsangehörigkeit in die Hitler-Jugend eintreten. Auch wurde er zum Kriegsfreiwilligendienst herangezogen. „Wir wurden da eingesetzt, wo Not am Mann war“, erinnert sich der heute fast 92-Jährige an die Zeit. An der Grenze in Brüggen-Born mussten Botengänge und Versorgung erledigt werden. Von der Kaserne in Krefeld aus ging es nach den Bombenangriffen auf die Suche nach Lebenden und Toten, die unter den Trümmern geborgen werden mussten. Auch die Vorbereitungen auf den Kriegseinsatz mit Maschinengewehr und Panzerfaust waren heftig für den Jugendlichen. Es sei eine schlimme Zeit gewesen. „Man hat mir meine Jugend gestohlen“, sagt Erich Wüllems heute.
Luftangriff auf Kempen von Krefeld aus beobachtet
Während seines Einsatzes in Krefeld ereignete sich auch der verheerende Bombenangriff auf Kempen am 10. Februar 1945. Zusammen mit drei Kempener Kameraden sah er von Krefeld aus die Rauchwolken über der Heimatstadt. Nachts flohen die Vier, um sich ein Bild von der Lage Zuhause zu machen. Einer der Kameraden hatte seine Mutter und seinen jüngeren Bruder verloren. Im Nachhinein erwies sich diese Tragödie als Rettung. Denn weil sich die Kempener unerlaubt von der Truppe entfernt hatten, drohte eine mächtige Strafe. Wegen der Todesfälle in der Familie blieb diese aus, erinnert sich Wüllems. Es drohte dem 16-Jährigen damals noch die Einberufung zum Kriegsdienst an der Front. „Einer meiner Klassenkameraden wurde noch eingezogen und ist gefallen.“ Wüllems selbst wurde aber zur Kempener Feuerwehr versetzt. Dort erlebte er den Einmarsch der Amerikaner versteckt im Keller des Lyzeums, wo die Feuerwehr untergebracht war. Die „Befreiung“ hatte gute Seiten für die Menschen. Die Luftangriffe hörten auf. Doch im Allgemeinen hätten die Menschen das Kriegsende als „vernichtende Niederlage“ empfunden, wie Historiker Kaiser ausführt.
Es herrschte Not und Hunger. In der Nachkriegszeit habe man über die schrecklichen Ergebnisse nicht gesprochen. „Wir haben uns mit Sport abgelenkt“, erinnert sich Wüllems, der Gründungsmitglied des Kempener Leichtathletik-Clubs wurde. Heute redet er darüber. Auch wenn er sich fragt, wer das heute noch verstehen kann.
Kaiser: „Hüten wir uns vor Schwarz-Weiß-Zeichnungen“
Er spricht am Montag wie auch der 90-jährige Ehrenbürger Karl-Heinz Hermans über die Kriegs- und Nachkriegserlebnisse mit Hans Kaiser. Der Historiker wird in einem Lichtbilder-Vortrag dazu der Frage nachgehen, was das Kriegsende für Kempen bedeutete, und versuchen, Entwicklungen zu erklären, die heute unverständlich scheinen. Im katholischen Kempen waren die Nationalsozialisten zunächst eine geächtete Außenseitergruppe. Wie konnte es dazu kommen, dass jeder fünfte Kempener sieben Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme einer NS-Organisation angehörte? Wie war es möglich, dass die Bevölkerung ihrem „Führer“ diszipliniert in den Krieg folgte? Kaisers wichtigste Schlussfolgerung: „Hitler war ein höchst begabter Populist. Seine Verheißungen und Hass-Parolen fielen auf fruchtbaren Boden. Wir sollten daraus lernen.“
Dabei wird er auch auf Äußerungen rechtsextremer Politiker eingehen. Sein Appell: „Hüten wir uns vor Schwarz-Weiß-Zeichnungen und vor Feindbildern, die einer komplizierten Wirklichkeit nicht gerecht werden. Setzen wir Besonnenheit und Differenzierung gegen Vorurteile und Hetze.“
Im Schlusswort spricht Ratsherr Jeyaratnam Caniceus zum Thema „Weltoffenes Kempen in Gegenwart und Zukunft“.